Anton Willing - Gefallene des Zweiten Weltkriegs aus Raesfeld

Heimatverein Raesfeld e. V.
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Anton Willing
Name:Willing
Vorname(n):Anton
geboren am:27.01.1909
in:Raesfeld
gestorben:17.07.1942
in:Wyssotschino, östl. Kriegsschauplatz
letzte Ruhestätte:Mal. Werejka / Woronesh, Russland
Gedenkstätte:Friedhof Raesfeld
Dienstgrad:Gefreiter
Beruf:Fabrikarbeiter
Eltern:Joseph Willing, Weber, und
Elisabeth geb. Nießing

Wehrpass:

Geb. 27.01.1909 in Raesfeld, kath., ledig, Fabrikarbeiter. Vater Josef Willing, Weber, Mutter Elisabeth, geb. Nießing. Eingestellt am 14.05.1940 bei der 3. Kompanie Inf. Ers. B. 2, Allenstein, Neue Reiterkaserne.

Vom 25.04.1941 - 17.07.1942 7/I. R. 695, 01.03.1942 Gefreiter.

Vom 10.05.1941 Küstenschutz an der franz. Kanalküste.

Gefallen am 17.07.1942 bei Wyssotschino.
Feldpost:

Am 20.05.1942 fuhren wir bei Lille ab über Namur, Aachen, Soest, Hildesheim, Breslau. Hier möchte ich bemerken, dass es nur ein Westfalen gibt, nicht weil es meine Heimat ist, sondern weil es nirgends schöner ist. In Polen sah man schon kein Haus mehr aus Stein, sondern nur aus Holz und Stroh. Hinter Warschau immer dasselbe Bild: Sumpf - Land - Störche und Krähen. Es ging aber immer weiter, des Morgens die Sonne vor uns, des Abends hinter uns. Pfingsten ging es ins "Paradies" hinein. Ich habe es mir genauso vorgestellt, aber an diese Mücken habe ich nicht gedacht. Augenblicklich liege ich am Rande eines Waldes, habe eine Decke über den Kopf gezogen und schreibe. Aber durch die kleine Spalte, die mir etwas Licht gibt, kommen doch so viele Mücken durch, dass ich ununterbrochen schlagen muß. Die anderen Kameraden haben ein Feuer angemacht, um die Biester zu vertreiben.

29.05.1942: Schon zwei Tage sind wir auf dem Marsch. Heiß brennt die Sonne, und endlos ist die Straße. Links und rechts ist Sumpf oder Land. Wegen der Mücken waren wir froh, aus dem Wald wegzukommen; aber auf dem Marsch und nachher in einem Dorf, wo wir für die Nacht Quartier bezogen, war es noch schlimmer. Millionen und abermals Millionen umschwärmen den völlig erschöpften Körper, den man irgendwo hinter eine Hecke hingelegt hat. Sie stechen einfach überall durch. Es ist gerade so, als hätten sie eine schreckliche Wut auf die Deutschen. Das Gesicht ist bei vielen schon bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die Leute hier sind ganz verrückt nach uns. Abends gaben einige Mädels einen russischen Tanz zum besten. Ihr könnt Euch die Armut und das Elend in so einem Dorf nicht vorstellen, man kann es auch nicht beschreiben. Die Frauen haben ein hemdartiges Hemd aus Sackleinen an, ebenfalls die Kinder. Fast alle sind barfüßig oder tragen Schuhe aus Baumrinde, die sie sich natürlich selbst geflochten haben.

04.06.1942: 8 Tage schwerster Anstrengungen sind vorbei. Gott sei Dank hat auch die fürchterliche Hitze und Mückenplage etwas nachgelassen. Es geht jedoch immer weiter. Auf dem Marsch habe ich Josef Wilger getroffen. Er stand an einem Waldrand, als ich vorbeikam, und ging ein Stück mit über. Auch Heinrich Göring lag in dem Wald.
19.06.1942: Heute früh um 2 Uhr hieß es: "Auf - marsch!" Der Regen war unbeschreiblich. Ja, das ist Rußland! Man ist schon so weit hinein und denkt oft, wie kommt man am Ende wieder heraus. Ich habe mein Leben lang viele Luftschlösser gebaut, und so sehr ich an der Landwirtschaft hänge, wenn mir aber hier einer einen einzigen Kotten umsonst anbieten würde, ich wollte ihn nicht haben.

20.06.1942: Jetzt sind wir in einer Stadt. Ich kam soeben von einem Spaziergang zurück. Es ist nichts zu sehen, nur Armut und Soldaten aller Länder. Geschäfte und Wirtschaften gibt es nicht. Am Vormittag war ich auf dem Markt. Die Bauern handelten dort mit ihren Produkten. Ihr könnt Euch nicht denken, was da alles zu haben war. Tausende Menschen boten irgend einen Kram feil. Ich habe mir für einige Meter Garn und eine Nähnadel 6 Eier gekauft.

23.06.1942: Das gute Land, das von Milch, Eier und Butter schwamm, haben wir zu Ende marschiert. Jetzt kommen wieder Berge und Täler. Die Leute hüten in den Tälern große Gänseherden, so dass es dort ganz weiß aussieht. Von der Mückenplage sind wir erlöst. Auf der Jagd nach Milch kamen wir gestern an eine arme Hütte. Die Frau gab uns gern die Milch, und wir konnten keinen Pfennig dafür loswerden. Sie hat sicher an ihren Mann gedacht, der seit Anfang des Krieges fort ist. Post hat sie noch nicht erhalten. Sie gab uns zu verstehen, daß er wohl "kaputt" sei.

24.06.1942: Wenn die endlosen Kolonnen die Straßen ziehen, dann wirbelt der Staub hoch, dass man den 3. Mann nicht mehr sehen kann. Ihr solltet mich jetzt mal anschauen, braun verbrannt, die Haare von der Sonne gebleicht, die dicken Backen weg, der schöne, neue Anzug voll Staub, Dreck, Löcher und Rostflecken, ganz dem "Paradies" angepaßt.

25.06.1942: Dem Gehör nach sind wir nicht mehr weit von der Front entfernt. Wilger und Göring habe ich schon etliche Tage nicht mehr gesehen; ich nehme an, daß sie von jetzt an hinter uns bleiben.
08.06.1942: Als wir aus der Stadt heraus waren und auf die elenden Straßen kamen, bot sich wieder das alte Bild: Sumpf - Land - Wälder und endlose Steppen. Auch die verfluchten Mücken haben sich wieder eingestellt. Zwei Tage begleiteten uns ein heftiger Regen und Wind aus dem Westen. Wenn es noch so regnet und es heißt: "1/2 Stunde Pause!" dann fällt man um und schläft, und wenn man nur einen Haufen Steine als Lager hat. Die Leute stehen an der Straße, weil sie sich über unser Eintreffen freuen, und weil sie Seife gegen Eier eintauschen wollen. In ihrer einfachen Hütte wohnen sie mit einer Kuh, einigen Hühnern und manchmal noch mit einem Pony zusammen. Als Kleider tragen sie nur Lumpen, um Kopf und Beine ein Tuch wegen der Mücken. Bei der Arbeit haben sie einen Strauch in der Hand, mit dem sie die Mücken abwehren. Unser Gesicht nimmt ständig eine andere Form an. Hinzu kommen noch die Ameisenstiche, die man sich des Nachts unter einem Tannenbaum holt. Heute liegen wir nun in einer russischen Kaserne auf dem Fußboden. Ein ungarischer Soldat gab uns eine Zeltbahn voll Stroh, und so haben wir augenblicklich eine ungewöhnliche Ruhestätte.

09.06.1942: "Soldaten kennen auf Erde keine Ruhe", uns das ist wahr. Glaubt man mal Ruhe zu haben, dann wissen sie nicht, was sie alles mit einem anfangen sollen. Die Mücken sind etwas kleiner geworden. Wenn diese stechen, dann tut es nicht so weh, aber es juckt viel länger. Es juckt einen überhaupt immer. Die Leute, die hier zwei Kühe hüten, haben eine Büchse in der Hand, die an einem Band hängt. Darin qualmt etwas Brennmaterial, und so beräuchern sie sich selbst und die Kühe wie mit einem Rauchfaß in der Kirche. Außerdem schlagen sie noch immer mit einem Zweig um sich. Sie sind aber trotz ihrer Armut recht vergnügt und auch freundlich.

11.06.1942: In den frühen Morgenstunden zogen wir wieder los. Es fing heftig an zu regnen und hielt den ganzen Marsch über an. Der Boden ist lehmig geworden. Ihr könnt Euch nicht denken, wie man aussieht. Als wir dann des Abends auf einer großen Weide Rast für die Nacht machten, kam die Artillerie vorbei, und Josef Wilger kam stolz geritten. Die können es besser aushalten. Wenn man so durch und durch naß ist und die Stiefel voller Wasser sind, dann ist es doppelt schwer zu marschieren. Wann ist Schluss? Die ganze Welt brodelt, und es werden noch Jahre vergehen, bis sich alles beruhigt hat. Jetzt müssen wir die Fahrzeuge schieben. Die Hitze hat etwas nachgelassen und damit auch die Mückenplage. Der Boden hier könnte reiche Erträge bringen, aber die Leute sind zu faul. Gestern war ich in einer Hütte, welch eine Armut! Das Abendessen für ein 6-jähriges Mädchen bestand aus einem rohen Ei und einer Kruste Brot. Das Schwein frißt auch in der Stube. In der ganzen Hütte war kein Gegenstand, den man hätte kaufen wollen. Ich habe ihnen mit Zeichen erklärt, wie das bei uns ist und wie das hier einmal sein würde. Der Mann hat sich gefreut. Ich hätte Eier und Milch umsonst haben können, das steht mir aber nicht. Ich habe ihnen alles gerecht bezahlt.
29.06.1942: Nach zwei langen Nachtmärschen liegen wir auf einer Wiese. Das Wetter ist schlecht und launenhaft. In der Frühe traf ich Heinrich Göring. "Es geht doch richtig drauf zu", sagte er. Der Brief, den ihr mir nachschicktet, war von der Französin Luzie. Sie schrieb, sie wolle ihr Versprechen, mir zu schreiben, halten und damit zeigen, daß sie mich nicht vergessen würde. "Ihre Schriefft und Ausdrück" möchte ich übersehen.

05.07.1942: Hier ist ein durcheinander, ein Wirrwarr und Lärm, es ist nicht zu beschreiben. Weinende Mütter und Kinder laufen verirrt umher. Des Nachts prasseln ungezählte Bomben herab. Man sucht Schutz in der Erde.

12.07.1942: Vorgestern machten wir auf einmal "Links - schwenkt - marsch!" Ihr habt doch sicher von dem Fall von Woronesch gehört. Der Russe wollte nach Süden durchbrechen. Gestern kam er mit einer Wucht, dass wir es ohne Flieger nicht hätten schaffen können. Ich sandte ein Gebet zum Himmel und siehe, da brausten Stukas heran und vernichteten fast sämtliche Feindpanzer.



14.07.1942: Nach den schweren Tagen rückten wir über mehrere Höhen dem Feinde nach. Jetzt haben wir uns auf einem Sonnenblumenfeld eingegraben und warten, wissen aber nicht worauf. Ihr könnt Euch kein Bild machen, wie man aussieht. Auf dem Kopf hat man Dreck sitzen wie Teer.

15.07.1942: Heute scheint es hier ruhig zu bleiben.

+ 17.07.1942


Dienststelle Feldpostnr. 06413D: Bei der Abwehr feindlicher Angriffe nördlich Woronesch fiel er am 17.07.1942 in soldatischer Pflichterfüllung.

Josef Wilger erzählt: Das Gefecht am 17. Juli hat hauptsächlich in einem Granatwerferduell bestanden. Am folgenden Tag sprach ich die Kameraden bei der Beerdigung. Anton Willing wurde im Schützenloch von einem Splitter von der Seite schwer verwundet. Hilfe war nicht mehr möglich. 14 Tage später fiel Heinrich Göring.


auch veröffentlicht im Heimat-Kalender des Landkreises Borken, Zehnter Jahrgang, 1952, S. 92 ff.
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